Forschung
Unsere Forschung umfasst die unterschiedlichsten Aspekte einer Organismus-orientierten Zoologie. Dabei interessieren uns evolutionsbiologische Fragestellungen, so insbesondere die Entstehung biologischer Vielgestaltigkeit (Disparität) und biologischer Vielfalt (Diversität). Neben der Erforschung der Ursachen von Diversität und Disparität fragen wir auch nach den aktuellen Mechanismen und Bedingungen, die für Veränderungen verantwortlich sind oder die Stabilität ermöglichen. Wir bedienen uns vielfältiger morphologischer Methoden in Kombination mit molekularbiologischen Techniken. Schwerpunkte der Forschung stellen bei den Wirbellosen Arthropoda und Annelida sowie bei den Wirbeltieren Fische und Säuger dar.
Evolutionäre Morphologie
Die zentralen Fragen der Evolutionsbiologie behandeln die Entstehung der Vielfalt der Arten (Biodiversität) und die der Vielgestaltigkeit der Organismen (Biodisparität). Genauso wie die Vielfalt ist auch die Vielgestaltigkeit ein Resultat der Evolution. Die Evolutionäre Morphologie beschreibt und interpretiert die Disparität der Organismen und bedient sich dabei klassischer, sowie moderner, innovativer Methoden der Morphologie. Aufbauend auf phylogenetischen Analysen, die uns Auskunft über die stammesgeschichtlichen Verwandtschaftsbeziehungen von Organismen geben, versuchen wir die Evolution von Organsystemen zu verstehen. Dabei werden die Veränderungen einzelner Merkmale (Merkmalstransformationen) stets im Kontext des gesamten Organismus betrachtet. Schließlich geht es auch um ein Verstehen der kausalen Mechanismen, die zu Veränderungen im Laufe der Evolution geführt haben. Evolutionäre Morphologie ist daher nicht nur eine beschreibende, sondern auch eine erklärende Disziplin.
Im Zentrum unserer Untersuchungen stehen die Arthopoda, nicht nur das artenreichste Taxon innerhalb des Tierreiches, sondern wohl auch das vielgestaltigste. Derzeit beschäftigen wir uns insbesondere mit der Evolution des Kreislaufsystems, des Nervensystems und der Sinnesorgane. Untersuchungen erfolgen mit Hilfe von histologischen Schnittserien, darauf aufbauender 3D-Rekonstruktion, Micro-Computertomographie, Elektronenmikroskopie und immunhistochemischen Methoden.
Göpel, T.; Wirkner, C.S. (2018): Morphological description, character conceptualization and the reconstruction of ancestral states exemplified by the evolution of arthropod hearts. PLOS ONE13(9): e0201702.
Grams, M.; Wirkner, C.S.; Runge, J. (2018): Serial and special: comparison of podomeres and muscles in tactile vs walking legs of whip scorpions (Arachnida, Uropygi). Zoologischer Anzeiger 273: 75-101.
Richter, S. (2017): Homology and synapomorphy-symplesiomorphy—neither synonymous nor equivalent but different perspectives on the same phenomenon. Cladistics 33(5): 540-544.
Keiler, J.; Wirkner, C. S.; Richter, S. (2017): 100 years of carcinization – the evolution of the crab-like habitus in Anomura. Biological Journal of the Linnean Society 121(1): 200-222.
Göpel, T.; Richter, S. (2016): The word is not enough: on morphemes, characters and ontological concepts. Cladistics 32(6): 682-690.
Frase, T. & Richter, S. (2016): Nervous system development in the fairy shrimp Branchinella sp. (Crustacea: Branchiopoda: Anostraca): Insights into the development and evolution of the branchiopod brain and its sensory organs. Journal of Morphology 227: 1423–1446.
Richter, S. & C.S. Wirkner (2014): A research program for Evolutionary Morphology. Journal of Zoological Systematics and Evolutionary Research 52: 338-350.
Richter, S.; Wirkner, CS (2013): Objekte der Morphologie. S. 93-97. In: M. Bruhn, G. Scholtz (Eds.) Morphologien. Bildwelten des Wissens 9.2. Akademie Verlag Berlin.
Stegner, M.E.J.; Brenneis, G.; Richter, S. (2013): The ventral nerve cord of Cephalocarida (Crustacea): New insights into the ground pattern of Tetraconata. Journal of Morphology in press.
Fritsch, M., Bininda-Emonds, O.P.R., Richter, S. (2013): Unraveling the origin of Cladocera by identifying heterochrony in the developmental sequences of Branchiopoda. Frontiers in Zoology 2013, 10:35.
Klußmann-Fricke, B.-J.; Prendini, L.; Wirkner, C.S. (2012): Evolutionary Morphology of the hemolymph vascular system in scorpions: a character analysis. Arthropod Structure & Development 41: 545-560.
Wirkner, C.S.; Richter, S. (2010): Evolutionary Morphology of the circulatory system in Peracarida. Cladistics: 26: 143-167.
Phylogenetik
Die Phylogenetische Systematik versucht die stammesgeschichtlichen Verwandtschaftsbeziehungen der Arten zu klären. Sie bedient sich dabei morphologischer Merkmale, aber vermehrt auch molekularer Methoden. Ein zentraler Aspekt stellt die Homologienforschung dar. Morphologische Merkmale werden detailliert untersucht und mit den Merkmalen anderer Arten verglichen. Bei Übereinstimmungen in Struktur und Lage oder in der Entwicklung kann auf einen gemeinsamen Ursprung dieser Merkmale geschlossen werden. Dieser gemeinsame Ursprung ist zumeist aus gemeinsamer stammesgeschichtlicher Herkunft zu erklären. Homologe Merkmale lassen aber nur dann direkte Schlüsse auf die Verwandtschaftsbeziehungen zu, wenn es sich um abgeleitete, apomorphe Merkmale handelt. Ursprüngliche (plesiomorphe) Merkmale können nicht zur Rekonstruktion herangezogen werden. Für morphologische phylogenetische Analysen werden eine Vielzahl von Merkmalskomplexen untersucht und berücksichtigt. Es gibt a priori keine Merkmale, die weniger oder besser geeignet sind. Neben morphologischen Merkmalen bedienen wir uns auch der Analyse unterschiedlicher molekularer Marker. Dabei ist es wichtig, möglichst nicht nur einzelne Gene, sondern eine Reihe unterschiedlicher Loci zu untersuchen. Molekulare und morphologische Methoden ergänzen sich bei der Klärung der Verwandtschaftsbeziehungen. Keinesfalls können molekulare Marker Analysen morphologischer Merkmale ersetzen.
Im Zentrum unserer Untersuchungen stehen Arthropoden und Polychaeten. Es konnten wesentliche Beiträge zur Phylogenie der Malacostraca (Crustacea) und Branchiopoda (Crustacea) sowie zur Stellung der Krebstiere innerhalb der Arthropoda geliefert werden. Laufende Untersuchungen beschäftigen sich mit der Phylogenie der Peracarida, zu denen Asseln (Isopoda) und Flohkrebse (Amphipoda) gehören.
Schwentner, M.; ClavierS.; Fritsch M.; Olesen J.; Padhye S.; Timms, B.V.; Richter, S. (2013):Cyclestheria hislopi (Crustacea: Branchiopoda): a group of morphologically cryptic species with origins in the Cretaceous. Molecular Phylogenetics and Evolution 66: 80-810.
Wirkner, C.S.; Richter, S. (2010): Evolutionary Morphology of the circulatory system in Peracarida. Cladistics: 26: 143-167.
Wirkner, C.S. (2009): The circulatory system in Malacostraca – evaluating character evolution on the basis of differing phylogenetic hypotheses. Arthropod Systematics & Phylogeny 67: 57-70.
Richter, S.; Møller, O.S.; Wirkner, C.S. (2009): Advances in Crustacean Phylogenetics. Arthropod Systematics & Phylogeny, in press.
Schwentner, M., Timms, B.V., Bastrop, R., Richter, S. (2009): Phylogeny of Spinicaudata (Branchiopoda, Crustacea) based on three molecular markers – An Australian origin for Limnadopsis. Molecular Phylogenetics and Evolution 53: 716-725.
Richter, S.; Olesen, J.; Wheeler, W.C. (2007): Branchiopod phylogeny – a combined analysis using morphology and six molecular loci. Cladistics 23: 301-336.
Szucsich, N.U.; Wirkner, C.S. (2007): Homology: a synthetic concept of evolutionary robustness of patterns. Zoologica Scripta 36: 281-289.
Bick, A.; Randel, N. (2005): Ontogenetic variations in characters of Euchone analis (Krøyer, 1856) (Polychaeta, Sabellidae, Sabellinae) from Spitsbergen, and new assignments of Oriopsis ingelorae Plate, 1995 and O. liefdefjordensis Plate, 1995. Acta Zoologica 86: 145-157.
Giribet, G.; Richter, S.; Edgecombe, G.D.; Wheeler, W.C. (2005): The position of Crustacea within Arthropoda: evidence from nine molecular loci and morphology. Crustacean Issues 16: 307-352.
Richter, S. (2005): Homologies in phylogenetic analyses – concept and tests. Theory in Biosciences 124: 105-120.
Richter, S.; Wirkner, C.S. (2004): Kontroversen in der phylogenetische Systematik der Euarthropoda. In: Kontroversen der phylogenetischen Systematik der Metazoa (S. Richter; W. Sudhaus, Hrsgb.). Sitzungsberichte der Gesellschaft Naturforschender Freunde zu Berlin 43: 73-102.
Richter, S.; Sudhaus, W. (2004): Kontroversen in der phylogenetischen Systematik der Metazoa (S. Richter; W. Sudhaus, Hrsgb.). Sitzungsberichte der Gesellschaft Naturforschender Freunde zu Berlin 43.
Richter, S. (2002): The Tetraconata concept: hexapod – crustacean relationships and the phylogeny of Crustacea. Organisms, Diversity and Evolution 2, 217-237.
Richter, S.; Scholtz, G. (2001): Phylogenetic analysis of the Malacostraca (Crustacea). Journal of Zoological Systematics and Evolutionary Research 39, 113-136.
Taxonomie, Ökologie & Phylogeographie
Systematik fragt nicht nur nach den Verwandtschaftsbeziehungen der Großgruppen zueinander, sondern auch nach den Möglichkeiten, Arten zu erkennen und voneinander abzugrenzen. Dieses ist das Feld der Taxonomie i.e.S. Obwohl die meisten Arten sehr gut als Fortpflanzungsgemeinschaften charakterisiert werden können, ist es in vielen Fällen nicht möglich, ihre Existenz z.B. mit Kreuzungsexperimenten zu prüfen. Oft bleiben daher morphologische und molekulare Untersuchungen, um die Abgrenzung nah verwandter Arten zu erkennen. Eine der jüngeren molekularen Ansätze ist die Phylogeographie. Hier wird die geographische Verteilung genetischer Linien herangezogen, um Genfluss zwischen Populationen nachzuweisen, bzw. um Barrieren für Genfluss zu identifizieren. Da langfristige Separation ohne Genfluss schließlich zur Artbildung führt, können Artbildungsprozesse mit Hilfe der Phylogeographie nachvollzogen werden. Arten besitzen jedoch nicht nur von anderen Arten getrennte Genpools, die durch Isolationsmechanismen aufrecht erhalten werden, sondern bilden auch eigene ökologische Nischen. Die ökologischen Nischen sind dabei nicht nur räumlich zu verstehen, sondern umfassen Anpassungen an abiotische Faktoren genauso wie z.B. Nahrungspräferenzen. Die Untersuchungen zur Taxonomie, der geographischen Verteilung und der ökologischen Einnischung von Arten stellen daher eine wesentliche Grundlage unseres Verstehens der Vielfalt (Biodiversität) des Lebens auf unsere Erde dar. Wir beschäftigen uns vorwiegend mit Polychaeten der Ostsee und der Antarktis, mit Laufkäfern des Himalaya, aber auch mit Süßwasserkrebsen (Anaspidacea & Conchostraca) Australiens.
Schwentner, M., Timms, B.V. & S. Richter (2014): Evolutionary systematics of the Australian Eocyzicus fauna (Crustacea: Branchiopoda: Spinicaudata) reveals hidden diversity and phylogeographic structure. Journal of Zoological Systematics and Evolutionary Research 52: 15-31.
Timms, B.V., Schwentner, M. (2012):A new genus and species of large limnadiid clam shrimp from Australia (Spinicaudata: Limnadiidae). Journal of Crustacean Biology 32(6): 981-990.
Schwentner, M., Timms, B.V., Richter, S. (2012):Description of four new species of Limnadopsis from Australia (Crustacea: Branchiopoda: Spinicaudata). Zootaxa 3315:42-64.
Bick, A. & Arlt, G. (2012): Description of intertidal macro- and meiobenthic assemblages in Maxwell Bay, King George Island, South Shetland Islands, Southern Ocean. Polar Biol. DOI 10.1007/s00300-013-1293-9, 1-17.
Bick, A. & K. Meißner (2011): Redescription of four species of Spio and Microspio (Polychaeta, Spionidae) from the Kuril Islands and Peter the Great Bay, northwest Pacific. Zootaxa 2968: 39-56.
Schwentner, M., Timms, B.V., Bastrop, R., Richter, S. (2009): Phylogeny of Spinicaudata (Branchiopoda, Crustacea) based on three molecular markers – An Australian origin for Limnadopsis. Molecular Phylogenetics and Evolution 53: 716-725.
Timms, B.V.; Richter, S. (2009): The clam shrimp Eozycicus (Branchiopoda: Spinicaudata: Cycicidae) in Australia. Journal of Crustacean Biology 29(2): 245-253.
Bick, A. (2006): Polychaete communities associated with gastropods shells inhabited by the hermit crabs Clibanarius erythropus and Calcinus tubularis from Ibiza, Mediterranean Sea. Journal of the Marine Biological Association U.K. 86: 83-92.
Bick, A. (2005): A new Spionidae (Polychaeta) from North Carolina, and Marenzelleria wireni Augener, 1913, a current record from Spitsbergen, with a key for all species of Marenzelleria. Helgoland Marine Research 59: 265-272.
Bick, A. (2005): A new polychaete genus and species of the Kongsfjorden, Spitsbergen, Svalbard. Journal of Natural History 39: 2987-2996.
Richter, S.; Timms, B.V.T. (2005): A list of the Recent clam shrimps (Crustacea: Laevicaudata, Spinicaudata, Cyclestherida) of Australia, including a description of a new species of Eocyzicus. Records of the Australian Museum 57: 341-354.
Bick, A.; Arlt, G. (2005): Intertidal and subtidal soft-bottom macro- and meiofauna of the Kongsfjorden. Polar Biology 28: 550-557.
Bick, A. (2004): Redescription of Pseudoaugeneriella nigra (Langerhans, 1880), new combination, (Polychaeta,: Sabellidae) with remarks on some characters of Fabriciinae. Zoologischer Anzeiger 243: 53-63.
Timms, B.V.; Richter, S. (2002): A preliminary analysis of the conchostracans (Crustacea: Spinicaudata and Laevicaudata) of the middle Paroo catchment of the Australian arid-zone. Hydrobiologia 486: 239-247.
Ichthyologie
Die Ichthyologie ist das Teilgebiet der Zoologie, das sich mit Fischen bzw. fischartigen Wirbeltieren (Knochenfische, Knorpelfische & Rundmäuler) befasst. Die Unterwarnow als einziges Lagunenästuar der südlichen Ostsee sowie die sich in unmittelbarer Umgebung befindenden Bodden und Haffe (Darß-Zingster-Boddenkette, Rügensche Bodden, Greifswalder Bodden, Strelasund) bilden interessante Untersuchungsgebiete hinsichtlich ihrer Fischartenzusammensetzung als Mix aus primären Süßwasser- bzw. Salzwasserfischarten. Dominiert werden die Ichthyozönosen von Süßwasserarten, die sich an die oligo- und mesohalinen Bedingungen dieser sogenannten „inneren Küstengewässer“ angepasst haben und in großer Biomasse vorkommen. Interessante Forschungsgebiete sind demzufolge die physiologischen und ökologischen Anpassungen dieser Arten an den neuen Lebensraum. Der Fokus unserer Forschungsarbeit liegt aktuell auf dem Hecht (Esox lucius) und dessen Reproduktionsbiologie. Trotz Süßwasserursprungs sind adulte Individuen in der Lage in die Ostsee und ihre Lagunen zu wandern und dort zu fressen, doch pflanzen sie sich dort auch fort? Mittels Freilanduntersuchungen, Erbrütungsexperimenten, mikrochemischen Analysen der Otolithen sowie genetischen Untersuchungen wollen wir diese Frage möglichst breit gefächert beantworten, um der Bedeutung dieser Art, einerseits als Top-Prädator im Nahrungsgefüge, andererseits als wichtiger Wirtschaftsfaktor der Region (Berufsfischerei, Angeltourismus), gerecht zu werden.
Ausgewählte Publikationen
Möller, S, Winkler, HM, Richter, S, Bastrop, R. (2021). Genetic population structure of pike (Esox lucius Linnaeus, 1758) in the brackish lagoons of the southern Baltic Sea. Ecology of Freshwater Fish 30: 140-149. https://doi.org/10.1111/eff.12571
Möller, S.; Winkler, H.M.; Klügel, A.; Richter, S. (2019): Using otolith microchemical analysis to investigate the importance of brackish bays for pike (Esox lucius Linnaeus, 1758) reproduction in the southern Baltic Sea. Ecology of Freshwater Fish 28: 602-610. https://doi.org/10.1111/eff.12478